„Start-up mit Historie“
Seit rund 1,5 Jahren gibt es BlueCrest. Im Interview mit Wilhelm Kanzler ging es um den Markt und die Entwicklung seit dem Kauf durch den Investor Platinum Equity.
Interview mit Wilhelm Kanzler, BlueCrest
Wie verlief die Entwicklung bei BlueCrest im letzten Jahr?
Kanzler: Wir haben ein komplett neues Unternehmen aufgesetzt – vom Handelsregister- Eintrag bis zu den Räumlichkeiten und dem Umzug in neue Räumlichkeiten. Parallel dazu haben wir weltweit ein neues ERP-System eingeführt. Das war ein Riesen-Kraftakt. Wir haben tausende Kunden, zehntausende Produkt- und Ersatzteil-Positionen und es gibt unterschiedliche Rechtssysteme, Sprachen und Kulturen. Das alles musste organisiert und umgestellt werden. Da gab es in der Tat Reibung. Das lag daran, dass wir uns – aus gutem Grund – entschieden haben, das ERP-System neu aufzusetzen: Vorher gab es im Konzern eine Unzahl verschiedener meist lokaler Software-Lösungen, die von Land zu Land verschieden waren. Die Bedienung, die Prozesse und die Datenmigration waren da die großen Herausforderungen. Das Ganze läuft jetzt inzwischen auf 7 von 8 Zylindern – sprich gut, aber es gibt immer noch Verbesserungspotenzial. Dass der Kunde davon nicht betroffen ist, oder wenn dann positiv, weil Dinge jetzt schneller gehen, war für uns dabei das Wichtigste.
Im Vergleich zu vorher gibt es nun kurze Wege und flache Hierarchien, es liegt mehr Verantwortung in den Regionen. Das war auch gut für die Motivation der Mitarbeiter. Die Bücher sind zwar noch nicht geschlossen, aber die Zahlen sind global positiv. Vom Volumen und auch nach Neuinstallationen sind wir in unseren Hauptbereichen – z. B. Inserting – in Nordamerika und England der Marktführer, und größer als alle Marktbegleiter zusammen. In anderen Ländern gibt es meist europäische Unternehmen, die von ihrer großen installierten Basis profitieren. Unsere Lösungen bieten ein großes Potenzial für weiteres Wachstum. In den letzten Monaten hat das Thema Outsourcing gerade hierzulande enorm an Fahrt aufgenommen. Versicherungen und Banken schreiben Volumen für Druck & Kuvertierung aus, die vor ein paar Jahren nicht vorstellbar waren.
Diese Entwicklung haben wir antizipiert. In z.B. Nordic und England teilen sich schon jetzt max. 10-15 Dienstleister den Markt auf, in Frankreich ist die Tendenz ähnlich. Diese Service Bureaus haben ein ganz anderes Bedürfnis nach Maschinen als beispielsweise eine einzelne Bank, und unser Portfolio ist genau auf diese Klientel zugeschnitten. Wir bieten Lösungen für große Volumina, höchste Sicherheit, beste Ergonomie und das beste Kostenverhältnis pro produziertem Stück. Deswegen sehen wir sehr gute Chancen, uns im Markt weiter zu entwickeln, speziell in Kontinental-Europa.
Nutzen diese Dienstleister nicht einfach ihre verschiedenen Standorte, um Last-Spitzen auszugleichen?
Kanzler: Zum einen brauchen diese tatsächlich produktivere Anlagen und Systeme, zum zweiten müssen diese Service Bureaus und Dienstleister bestimmte Standards erfüllen, die sie noch nicht alle voll umfänglich leisten können – z. B. bei der revisionssicheren Verarbeitung oder der datenbankgestützten Kuvertierung. Da darf kein Fehler mehr passieren – und zwar nachweisbar. Da ist nach wie vor ein Bedarf nach Upgrades und Neuinvestitionen vorhanden. Oder die vorhandenen Mitbewerbs-Systeme werden abgebaut und durch BlueCrest-Systeme ersetzt.
Die Personalisierung des gefüllten fensterlosen Kuverts – sei es die richtige Adresse oder eine individuelle Marketing-Botschaft – sprich: das intelligente, farbige Bedrucken mit unserem Print Plus Messenger ist ebenfalls sehr gut nachgefragt. Dieser hat eine Leistung von bis zu 26.000 Kuverts/h DIN Lang bzw. 22.000/h C5. Davon sind Hunderte weltweit erfolgreich im Einsatz.
Was hat sich durch den Einstieg des Investors Platinum Equity geändert?
Kanzler: Unser Investor Platinum Equity ist stark daran interessiert, das Geschäft massiv auszubauen. Deshalb gibt es klare Bestrebungen das Portfolio zu erweitern und zu ergänzen – sei es durch Kooperationen oder durch Übernahmen. Da sind wir mit offenen Augen und Ohren unterwegs, um BlueCrest noch stärker im globalen Markt zu positionieren.
Wo liegen die Schwerpunkte im Portfolio sprich: was sind die Umsatzträger bei BlueCrest?
Kanzler: Wir haben drei strategische Hauptsegmente: das erste ist Mail-Industry, also alles was mit Kuvertieren, Sortieren und Paketen zu tun hat, das zweite ist das grafische Geschäft – z. B. Laminieren, Zusammentragen, Klebebinden und Heften, das insbesondere in Frankreich stark ist. Das Dritte Segment ist Software & digitale Lösungen. Mail-Industry und dort das Kuvertieren ist mit Abstand unser größtes Segment – sowohl vom Umsatz als auch nach Stückzahlen.
Wie hat sich der Markt für die BlueCrest-Produkte in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt?
Kanzler: Für uns waren die letzten Jahre positiv – d. h. wir haben vernünftige und gute Geschäfte gemacht. Natürlich ist man nie zufrieden. Wir wollen in jedem Segment, in dem wir tätig sind, globaler Marktführer werden.
Wir haben die Lösungen, die Produkte und die Mitarbeiter, die unsere Kunden brauchen. Die konsolidierte Briefmenge wächst zwar nicht, das Segment Direct Mail aber schon – und speziell dafür haben wir auf der Print 19 das sehr flexible, einfach zu bedienende und automatisierte Kuvertier-System Epic Direct Mail vorgestellt (Siehe auch PM 1/19).
Wo sehen Sie hierzulande weitere Potenziale – vor allem bei der Software?
Kanzler: Wir bieten maschinennahe Software, und Hardware-unabhängige Software – beide Segmente wachsen. Mit Office Mail beispielsweise werden Druckjobs dezentral aufgegeben, gebündelt und zentral – z. B. bei einem Dienstleister oder im eigenen Druckzentrum – bearbeitet. Durch die so mögliche Konsolidierung lässt sich dann enorm viel Porto sparen. Die Prozesskosten sind natürlich ebenfalls viel geringer. Stellen Sie sich vor, der Sachbearbeiter geht jedes Mal zum Drucker und faltet und kuvertiert dann anschließend seinen Brief selbst. Ein weiteres Beispiel sind unsere Output Management Lösungen die nicht nur Barcodes generieren oder Druckdatenströme anpassen, sondern auch die Produktion genau dokumentieren und organisieren, sodass z. B. bei Fehlern der Nachdruck an der richtigen Stelle ansetzt.
Auch kleinere Auftragsmengen lassen sich so mandantengetreu trotz Auftragsbündelung nachvollziehen. Zudem wollen wir uns im Bereich Drucken für Partnerschaften zu den großen Druckanbietern öffnen, um im Verbund z. B. bei Ausschreibungen schlüsselfertige Komplett-Lösungen anbieten zu können. Da freuen wir uns über Kontakte.
Welches sind die USP von BlueCrest im Vergleich zu den Marktbegleitern?
Kanzler: Das sind die niedrigsten Kosten pro Stück, die höchste Produktivität und die revisionssichere Verarbeitung.
Wie schätzen Sie die Zukunftsperspektiven der Branche ein? Der Briefmarkt ist ja rückläufig ...
Kanzler: Man sieht, dass sich auf Kundenseite Unternehmen zusammenschließen und neue Partnerschaften gebildet werden. Vielleicht wird es solche Ansätze zur Kooperation auch einmal auf Hersteller-Seite geben, wenn sich komplementäre Lösungen im Kundeninteresse ergänzen. Andererseits werden es Unternehmen, die eine kritische Größe im weltweiten Markt nicht erreichen, und die auch kein komplettes Portfolio bieten können, meiner Meinung nach schwer haben, in Zukunft zu bestehen. Wir investieren jedes Jahr Millionenbeträge in neue Entwicklungen.
Der größte Wettbewerb ist aber die Digitalisierung, obwohl klar ist, dass die persönliche Ansprache per Brief eine sehr hohe Wertigkeit besitzt. Wenn das Porto 75-85 % der Gesamtkosten eines Briefes ausmachen, muss man das Beste aus dem Brief machen: Personalisieren, sowie relevante und individuelle Inhalte und eine passable Haptik bieten. Damit steigt auch der Anspruch an ein Kuvertier-System. In Deutschland ist der Bereich Sortieren einer der Hauptumsatzträger. Für unser Flagschiffsortiersystem, die Vantage, bieten wir nun Mixed-Mail-Stacker, mit denen sich auch Großbriefe bei höchster Produktivität verarbeiten lassen.
Was sind die Vorteile der neuen BlueCrest Epic Direct Mail?
Kanzler: Sie bietet bis zu 24.000 Kuvertierungen/h, ist per Knopfdruck motorisch umstellbar und sie hat die beste Ergonomie und somit das beste Kosten/Nutzen-Verhältnis für den Kunden. Hervorzuheben ist auch die Flexibilität hinsichtlich verschiedenster, vor allem im Mailingbereich auftretender Materialen wie Beilagen und auch Kuverts – und das sowohl in der Geometrie als auch in der Beschaffenheit.
Wie gehen Sie an Projekte heran? Werden diese ausgeschrieben, haben Sie einen Außendienst?
Kanzler: Unser Vertrieb ist seit vielen Jahren in engem Kontakt mit den Anwendern und unserer Industrie. Diese sehr erfolgreich gewachsenen Strukturen liefern uns ein sehr gutes Verständnis über die Notwendigkeiten der Kunden sowohl bei den Dienstleistern, als auch bei den Inhouse-Operations. Unser Vertrieb hat das Ohr am Kunden und am Markt und bietet so perfekte Problem-Lösungen. Nun kommen auch Lettershops und Direct Mail Anwender dazu.
Eine hohe Uptime ist ja das A&O, welche Service-Leistungen bieten Sie gleich mit an?
Kanzler: Wir bieten an, was der Kunde und der Markt anfragt – von der Wartung in Eigenregie bis zum Wartungsvertrag mit definierter Reaktionszeit oder Onsite-Servicetechniker. Wir haben ausschließlich eigene Service-Techniker im Einsatz. Auch erhalten die Systeme ihren Service inzwischen modular, so dass z.B. unsere Kuvertiersysteme immer nur kurz aus dem Betrieb genommen werden müssen und dadurch die Anlage eine insgesamt höhere Verfügbarkeit hat.
Was ist als Nächstes von BlueCrest an Neuheiten zu erwarten?
Kanzler: Unser Epic Kuvertiersystem ist ja noch neu. Wir werden aber in absehbarer Zeit ein weiteres Kuvertiersystem vorstellen, welches ebenfalls vollautomatisch umstellbar ist. Dieses ist von der Leistung unterhalb unseres Flagship-Modells Epic positioniert. Ihre Postmaster-Leser dürfen gespannt sein.
Stellen sie – so es die Situation zulässt – auf der Parcel+Post Expo in Wien aus?
Kanzler: Dort stellen wir dieses Jahr – wenn es bis dahin wieder möglich ist – als Main Sponsor unsere innovativen Brief- und Paket-Sortier-Lösungen samt unserer SortEngine 360 Software, die diese Anlagen entsprechend steuert, vor.
Herzlichen Dank für das Interview!
Veröffentlicht im Postmaster Magazin, Ausgabe PM 2/2020